Von Hydrogen Council
In einer bahnbrechenden Zusammenarbeit haben Daimler Truck und Linde eine revolutionäre Betankungstechnologie für unterkühlten flüssigen Wasserstoff (sLH2) entwickelt, die den Fernverkehr revolutionieren soll. Roland Dold, Leiter Advanced Engineering bei Mercedes-Benz Trucks, und Markus Bachmeier, Director Markets & Customer Development bei Linde Hydrogen FuelTech, diskutieren mit dem Hydrogen Council, wie die sLH2-Technologie wasserstoffbetriebene Lkw kostengünstig und effizient machen und damit möglicherweise die Zukunft des nachhaltigen Transports in Europa und darüber hinaus neu gestalten könnte.
Markus, Roland, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, unsere Fragen zu beantworten. Linde und Daimler Truck haben gemeinsam mit sLH2 eine innovative Betankungstechnologie für unterkühlten flüssigen Wasserstoff entwickelt. Zuletzt wurde in Wörth am Rhein die erste öffentliche sLH2-Tankstelle eröffnet. Welche Infrastruktur ist aus Ihrer Sicht notwendig, um Wasserstoff und wasserstoffbetriebene Fahrzeuge in Deutschland und Europa erfolgreich zu etablieren?
Roland Dold: Daimler Truck hat sich dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet. Ziel ist es, bis 2039 in unseren globalen Kernmärkten – Europa, USA, Japan – nur noch Neufahrzeuge anzubieten, die im Fahrbetrieb CO2-neutral sind. Wirklich lokal CO2-neutraler Transport funktioniert nur mit emissionsfreien Antriebstechnologien, z. B. batterieelektrisch und wasserstoffbasiert. Die Energie kann aus zwei Quellen stammen: aus Batterien oder durch Umwandlung von Wasserstoff in Elektrizität an Bord des Fahrzeugs. In Sachen Wasserstoff haben Daimler Truck und Linde einen Flüssigwasserstoff-Betankungsstandard entwickelt, den wir sLH2 nennen, und eine erste Tankstelle eröffnet, um die Technologie zu demonstrieren. Obwohl wir uns an anderen Infrastrukturinitiativen beteiligen und diese unterstützen (z. B. H2 Mobility in Europa oder Greenlane in den USA sowie mit Masdar, um die Möglichkeiten der Versorgung mit grünem Flüssigwasserstoff zu untersuchen), konzentriert sich Daimler Truck auf die Entwicklung wasserstoffbetriebener Lkw wie unseren Mercedes-Benz GenH2 Truck. Wir rufen nun Energie- und Infrastrukturunternehmen auf, unserem Ansatz zu folgen und die notwendige sLH2-Infrastruktur aufzubauen.
Markus Bachmeier: Das wachsende Interesse an dieser Wasserstofftechnologie sowohl bei Wasserstofftankstellenbetreibern als auch bei herkömmlichen Kraftstoffhändlern ist auf mehrere Vorteile zurückzuführen: Lkw mit den neu entwickelten bordeigenen sLH2-Speichertanks können Entfernungen von über 1.000 km (620 Meilen) zurücklegen und mit der gleichen Geschwindigkeit tanken wie heutige Diesel-Lkw. Um diese Technologie „auf die Straße“ zu bringen, muss man den wirtschaftlichen Einsatz der Lkw und eine zuverlässige Kraftstoffnachfrage (Wasserstoff) sicherstellen. Daher müssen die ersten Wasserstofftankstellen strategisch entlang der wichtigsten Lkw-Routen platziert werden. Dies wird letztendlich zu einer Reduzierung der Tankkosten führen und das Netzwerk kann dann erweitert werden, um die wichtigsten Verkehrskorridore auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene abzudecken.

Eines Ihrer Ziele war es, die sLH2-Technologie über einen ISO-Standard öffentlich zugänglich zu machen. Was war der Grund für diese Entscheidung und wie weit ist der Fortschritt?
Markus Bachmeier: Daimler und Linde haben schon früh entschieden, dass die Standardisierung dieser Technologie ein wichtiges Ziel ist. Während des gemeinsamen Entwicklungsprozesses haben unsere Unternehmen Standards etabliert, die andere Akteure nun übernehmen können, sodass sie nicht bei Null anfangen müssen. Diese Standardisierung ist für die gesamte Branche von entscheidender Bedeutung, da sie eine einfachere Integration ermöglicht und weitere Innovationen ermöglicht. So zeichnet sich beispielsweise zwischen mehreren Anbietern ein Konsens ab, sich auf eine standardisierte Geometrie für Kupplungssysteme (Zapfen und Stecker) und Betankungsprotokolle zu einigen. Dies wird die Auswahl an Unterkomponenten und Lieferanten erheblich erweitern und sicherstellen, dass alle Stationen dieselben Kupplungskonfigurationen verwenden können. Diese Standards sollen sicherstellen, dass jeder Lkw an jeder Wasserstofftankstelle betankt werden kann, unabhängig vom Lieferanten.
Roland Dold: Mit unserem Mercedes-Benz GenH2 Truck, wir streben flexible und anspruchsvolle Langstreckenanwendungen mit ähnlichen Leistungsparametern wie die heutige Dieseltechnologie an. Die Lkw haben ein Gesamtgewicht von 40 Tonnen und transportieren 80 kg flüssigen Wasserstoff, und wir können diese 80 kg innerhalb von 10 bis 15 Minuten tanken. Wir bevorzugen flüssigen Wasserstoff, da der Energieträger in diesem Aggregatzustand im Verhältnis zum Volumen eine deutlich höhere Energiedichte aufweist als gasförmiger Wasserstoff. Dadurch sind Reichweiten von 1.000 Kilometern und mehr möglich, da er sehr effizient ist. Erst im vergangenen September haben wir mit unserem #HydrogenRecordRun gezeigt, dass wasserstoffbetriebene Langstreckentransporte im wirklichen Leben funktionieren, bei dem einer unserer Mercedes-Benz GenH2-Lkw mit einer einzigen Tankfüllung flüssigen Wasserstoffs 1.047 km zurücklegte. Indem wir zeigen, wie effizient der Tankvorgang funktioniert – das heißt sicher, schnell und einfach –, wollen wir ihn als dominierende Wasserstoff-Betankungstechnologie weithin verfügbar machen und so den Einsatz von Wasserstoff-Lkw in großem Maßstab auf der ganzen Welt ermöglichen. Damit haben wir eine Tür geöffnet und anderen OEMs, Infrastrukturunternehmen und Verbänden die Möglichkeit geboten, den neuen Standard für flüssigen Wasserstoff anzuwenden und so einen globalen Massenmarkt für das Verfahren zu etablieren.
In Ihre KommunikationSie haben die erheblichen Einsparungen bei den Kapital- und Betriebskosten von sLH2-Tankstellen im Vergleich zu anderen Wasserstofftankstellen hervorgehoben. Welche Auswirkungen wird dies auf die Wettbewerbsfähigkeit wasserstoffbetriebener Lkw im Vergleich zu Diesel haben?
Markus Bachmeier: Der Straßentransport ist ein sehr kostensensibles Geschäft, daher war die Senkung der Tankstellenkosten ein wichtiges Entwicklungsziel für uns. Die sLH2-Stationen von Linde erfordern im Vergleich zu alternativen Wasserstofftankstellen deutlich geringere Investitionskosten und bieten bemerkenswert niedrige Gesamtbetriebskosten (TCO). Die Hauptgründe für diese TCO-Reduzierung sind ein hoher Durchsatz sowie geringere Stromkosten für den Betrieb und minimaler Flächenbedarf sowie keine Wasserstoffverluste an der Station. Dies ist besonders kosteneffizient in Gebieten, in denen Land besonders teuer ist, was bei den meisten öffentlichen und privaten LKW-Tankstellen in Europa der Fall ist. Die sLH2-Technologie ermöglicht außerdem längere Wartungsintervalle, wodurch die Stationsverfügbarkeit hoch und die Wartungskosten niedrig bleiben. Dies sehen wir bereits an der sLH2-Tankstelle in Wörth, wo der Betrieb seit der Inbetriebnahme Anfang dieses Jahres reibungslos und fehlerfrei läuft.
Darüber hinaus zeichnet sich die sLH2-Technologie durch ihre Skalierbarkeit aus. Im Vergleich zu anderen Wasserstofftankstellen geht die Skalierbarkeit mit relativ geringen Kostensteigerungen einher. Mit anderen Worten: Um die Kapazität zu erhöhen, benötigen sLH2-Tankstellen vergleichsweise weniger Energie und der Platzbedarf bleibt mehr oder weniger gleich. Ein weiterer Vorteil der sLH2-Technologie ist die Flexibilität, die dem Tankstellenbetreiber geboten wird: Bei Bedarf kann die Station zusätzlich zur sLH2-Zapfsäule mit einer Linde-Kryopumpe ausgestattet werden. Mit einer solchen Ausstattung kann die Station nicht nur sLH2-LKW betanken, sondern auch LKW, die gasförmigen Wasserstoff im Fahrzeugtank verwenden.

Welche Vorteile bietet ein solcher gemeinsamer, kollaborativer Ansatz gegenüber der eigenständigen Technologieentwicklung jedes Unternehmens?
Markus Bachmaier: Bei der Wasserstofftechnologie müssen wir die gesamte Wertschöpfungskette vom Molekül bis zum Fahrzeug berücksichtigen und Technologien Hand in Hand entwickeln. Linde und Daimler Truck haben von Anfang an, noch bevor die formellen Standardisierungsbemühungen begannen, gemeinsam darauf geachtet, dass Tank und Wasserstofftankstelle kompatibel sind. So konnten wir das Gesamtsystem schnell und reibungslos optimieren. Aus unserer Sicht ist dieser Ansatz effizienter als die Optimierung jedes Teils einzeln und senkt zudem die F&E-Kosten. Durch die gemeinsame Entwicklung vermeiden wir doppelte Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen und -kosten, da die Komponenten von Anfang an so konzipiert sind, dass sie sich gegenseitig ergänzen.
Roland Dold: Daimler Truck beabsichtigt, Mitte 2024 mit der Kundenerprobung des Mercedes-Benz GenH2 Truck zu beginnen, die Einführung der Serie ist für Ende dieses Jahrzehnts geplant. Das Fahrzeug ist nur ein Teil der Gleichung: Um nachhaltigen Transport auch mit wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen zu ermöglichen, müssen wir branchenübergreifende Partnerschaften eingehen und die gesamte Wertschöpfungskette von Wasserstoff betrachten. Wir bei Daimler Truck sind die Fahrzeugexperten und verfügen über die Engineering-Kompetenz für die Entwicklung eines wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen-Lkw. Linde verfügt über dieselbe Expertise beim Thema Wasserstoffproduktion und -verteilung. So haben wir gemeinsam an der Etablierung eines Betankungsstandards gearbeitet, wichtige Kompetenzen gebündelt und uns einen Zeitvorteil verschafft, um unsere Ziele schnell zu erreichen. Über die Zusammenarbeit mit Linde hinaus und obwohl es nicht unser Kerngeschäft ist, sind wir bei Daimler Truck auch am Aufbau der entsprechenden Lieferkette beteiligt und treiben den Ausbau von Wasserstofftankstellen voran. Beispiele sind unser Engagement bei H2 Mobility in Europa oder Greenlane in den USA. Neben den Infrastrukturinitiativen untersuchen wir gemeinsam mit Masdar auch die Möglichkeiten der Lieferung von grünem Flüssigwasserstoff aus Abu Dhabi (VAE), um den Straßengüterverkehr in Europa zu dekarbonisieren.
Was wäre Ihre Botschaft an andere Unternehmen, die an ähnlichen Kooperationen interessiert sind?
Roland Dold: Für emissionsfreien Verkehr sind drei Faktoren erforderlich: die richtigen batterieelektrischen und wasserstoffbetriebenen Fahrzeuge – wie wir sie mit unserem Mercedes-Benz GenH2 Truck entwickelt haben –, das erforderliche Infrastrukturnetz und Kostenparität für ZEVs im Vergleich zu Diesel-Lkw. Die Beherrschung jedes einzelnen dieser Faktoren ist mit enormer Arbeit verbunden. Um alle drei Faktoren zu erreichen, bedarf es gemeinsamer Anstrengungen. Daher müssen wir zusammenarbeiten, branchenübergreifend und gemeinsam mit Regierungen, um am Ende ein Ergebnis zu erzielen. Niemand kann das allein schaffen.
Markus Bachmaier: Der Weg zum Erfolg des Wasserstoff-Schwerlastverkehrs und zur Entwicklung der sauberen Energiewirtschaft im Allgemeinen wird durch eine stärkere Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Standardisierung von Prozessen sowie durch gemeinsame Investitionen beschleunigt. Es ist wichtig, dass alle Akteure nicht nur mitmachen, sondern aktiv dazu beitragen und dabei das Wissen und die Erfahrungen aus bestehenden Initiativen nutzen. Die Transportbranche wird von der Ausrichtung auf die von Daimler Truck und Linde entwickelten Standards profitieren. Die Einführung dieser Standards wird hoffentlich das Tempo der Fahrzeug- und Infrastrukturentwicklung und -einführung erhöhen. Je mehr alle Akteure zusammenarbeiten, desto erfolgreicher werden alle sein.
Dieser gemeinsame Entwicklungsprozess von Daimler Truck und Linde zeigt, dass die Zusammenarbeit bei der Förderung neuer Technologien ein sehr erfolgreicher Weg ist, die Herausforderungen unserer Zukunft zu bewältigen.